Am 1. Oktober 1943 fielen Bomben auf Feldkirch. 210 Menschen starben. Einer der Zeitzeugen war Karl Vogel (1928-2021), später Volksschullehrer und Direktor der Hauptschule Hohenems-Markt . Seine Genealogie befindet sich im Stammbaum-Netzwerk.
Karl Vogel erzählte: "Der 1. Oktober 1943 ist ein schöner Tag. Leicht föhnig. Mit 15 Grad nicht übertrieben warm. Vorarlberg geht in den vierten Kriegswinter. Der Feldkircher Domplatz heißt Adolf-Hitler-Platz. Aber die Festumzüge nach dem Anschluss im März 1938 und ihre lärmende Begeisterung sind verklungen. Im Februar 1943 haben sich in Stalingrad die Reste der 6. Armee ergeben. Die Zeit der 'Blitzsiege' ist vorüber. An diesem Tag tritt eine Verordnung in Kraft, die es deutschen Soldaten erleichtern soll, ihr Testament zu machen."
Der Satteinser Ferdinand Schwarz ist an diesem 1. Oktober 16 Jahre alt und in der Lehrlingswerkstatt der Deutschen Reichsbahn in Feldkirch beschäftigt. Die gleichaltrige Waltraud Elvira Bernhart aus dem Südtiroler Kastelbell besucht die nahe gelegene Lehrerbildungsanstalt. Karl Vogel (15) aus Hohenems ist im angeschlossenen Knabenheim untergebracht.
Um 12.22 Uhr heulen die Sirenen: Fliegeralarm. Schwarz und die anderen Lehrlinge schauen zum Himmel. Sie sehen eine Formation von mehreren Flugzeugen Richtung Norden fliegen. "Das sind 15 Maschinen", zählt zur selben Zeit Karl Vogel. Er ist mit seinem Schulfreund Herwig Walser auf die Dachterrasse des Knabenheims gestiegen. Jetzt sehen die beiden, wie Schülerinnen von der Sportwiese und vom Schulhof in die Schutzräume laufen. Auch Waltraud Bernhart ist darunter. Die Heimleiterin ruft ihr von der Eingangstür des Heims zu, sich in Sicherheit zu bringen. Das 16-jährige Mädchen steigt in einen Keller hinab und setzt sich in eine Ecke.
Es passiert . . . nichts. Vermutlich laden sie ihre Fracht über Augsburg ab, denkt sich Karl Vogel. Er wartet auf der Terrasse auf den langen Heulton zur Entwarnung. Aber dann kommen erneut Bomber in Sicht. Sie fliegen tief. Staniolstreifen regnet es vom Himmel. Und dann geht alles schnell.
"Drei Bombergruppen waren an diesem Morgen in Tunesien gestartet." Der Innsbrucker Zeitgeschichtler Thomas Albrich hat die Ereignisse minutiös rekapituliert. "Jeweils 15 amerikanische B17 'flying fortress' hoben in 30-Minuten-Abständen ab." Sie flogen in einem komplett geschlossenen Wolkenmeer Richtung Norden. Augsburg und die Messerschmittwerke konnten sie nicht finden. "Für eine dieser drei Gruppen lag Feldkirch dann auf dem Rückweg." Feldkirchs große Gebäude dürften den Ausschlag gegeben haben. Der Abwurf dauerte nur zwei, drei Minuten.
Karl Vogel hat "das unheimliche Zischen und Pfeifen" noch in Erinnerung. "Es übertönte alle anderen Geräusche. Dann zerriss uns ein Donnerschlag beinah das Trommelfell." Sein Freund und er werden die Stiege hinuntergeschleudert. Sie bleiben aber unverletzt. Sie taumeln ins Freie. Als die Staubwolken sich lichten, stehen sie vor einem Bombentrichter, "mitten im Schulhof". "Die erste Bombe hat das Knabenheim nur knapp verfehlt." Aber das Mädchenheim und das Lazarett im Antoniushaus werden völlig zerstört. "Zuerst folgt dem Inferno eine lähmende Stille - dann hören wir Schreie und Hilferufe." 210 Tote und über 100 Schwerverletzte werden in Feldkirch aus den Trümmern geborgen.
Der Bahn-Lehrling Ferdinand Schwarz kommt mit dem Schrecken davon. Waltraud Bernhart wird in ihrem Keller verschüttet. "Ich hatte Todesangst. Ich glaubte, jetzt ist es mit mir vorbei." Aber während elf Mädchen ihrer Klasse sterben und acht verletzt werden, bleibt sie als Einzige unversehrt. Die nationalsozialistische Totenfeier trug die bekannten heroischen Züge. Von "anglo-amerikanischen Terrorfliegern" war die Rede. "Zwei Jahre später waren dann NS-Spuk und Zweiter Weltkrieg vorüber."
Bei regiowiki.at ist folgendes zu lesen
Am 1. Oktober 1943 beabsichtigte die 12. US-Luftflotte mit ihren neun schweren Bombergruppen Flugzeugfabriken in Süddeutschland und Ostösterreich anzugreifen. Während im Osten fünf Bombergruppen, welche mit dem Bombertyp B-24 ausgestattet waren, einen verlustreichen Angriff auf Wiener Neustadt flogen, sollten im Westen vier Bombergruppen, die mit der Boeing B-17 ausgestattet waren, die Messerschmitt-Werke in Augsburg angreifen. Schlechtes Wetter und deutsche Jagdflugzeuge verhinderten jedoch dieses Vorhaben, sodass die amerikanischen Bomber befehlsgemäß Sekundärziele bombardierten. 15 amerikanische Bomber wählten Feldkirch als Ersatzziel und der nur zwei Minuten dauernde Luftangriff kostete über 200 Menschen das Leben, während die Angreifer keine Verluste zu verzeichnen hatten.
Vorgeschichte
Am Morgen des 1. Oktobers starteten die Flugzeuge der 2., 97., 99. und 301 Bomber-Gruppe von ihren Feldflugplätzen in Tunesien zu ihrem langen Flug nach Süddeutschland. Bereits über Italien gerieten die Maschinen in eine Gewitterfront, über dem Zielgebiet lag eine geschlossene Wolkendecke, die eine Orientierung sehr schwierig machte.
So bemerkten die Navigationsoffiziere der 99. Bomber-Gruppe, nachdem die Wolkendecke etwas aufgerissen war und sie endlich Orientierungspunkte sehen konnten, dass sie sich nicht über Augsburg sondern in der Nähe von München befanden. Den Besatzungen wurde daraufhin befohlen eine Linkskurve zu fliegen und nach Alternativzielen Ausschau zu halten. Bald tauchten deutsche Jäger auf und attackierten den Verband. Als die amerikanischen Bomber die Schweizer Grenze überflogen, zog die Maschine 40-30126 Sugar Foot bereits eine Rauchfahne hinter sich her. Nun eröffnete auch noch die schweizerische Luftabwehr bei Bad Ragaz das Feuer und die bereits getroffene B-17 stürzte ab. Acht der zehn Besatzungsmitglieder fanden dabei den Tod. Die Flugabwehr holte mit der Maschine 42-5856 Rangy Lil noch ein zweites Flugzeug vom Himmel. Bei diesem Absturz bei Alvaneu starben fünf Besatzungsmitglieder und ein sich an Bord befindlicher Fotograf.
Wie viele Flugzeuge sich auf den Weg nach Norden machten, lässt sich, zumindest aus den spärlichen Hinweisen im Internet, schwer rekonstruieren. Theoretisch bestand eine Bomber-Gruppe aus 48 Maschinen. Die fünf B-24 Gruppen, welche Wiener Neustadt ins Visier nahmen, brachten zwischen 23 und 26 Maschinen in die Luft. Bei den B-17 Bombern im Westen waren es vermutlich weniger. Wenn die Internetquellen stimmen, dann starteten bei der 2. Bomber-Gruppe nur 15 Maschinen in Richtung Süddeutschland. Die Formation der 99. Bomber-Gruppe wurde von jenem Schweizer Offizier, welcher der Flugabwehr den Schießbefehl gab, mit drei losen Keilen beschrieben. Und schließlich zählten die Augenzeugen des Luftangriffes auf Feldkirch 15 Bomber, welche ihre Bomben auf die Stadt abwarfen.
Diese Flugzeuge gehörten zum Verband der 97. Bomber-Gruppe, die sich aus den Staffeln (Sqadrons) 340, 341,342 und 414 zusammensetzte. Als Grund, warum sich die Gruppe gerade Feldkirch als Ziel aussuchte, wurde vermutet, dass die großen Häuser den Ausschlag dafür gaben. Beim daraufhin schwer getroffenen Antoniushaus, das ein Reservelazarett beherbergte, waren 14 Tage zuvor die großen roten Kreuze übermalt worden, weil Funktionäre der NSDAP behaupteten, dass die Amerikaner bevorzugt Lazarette bombardierten.
Der Angriff
Einem Bericht in der Stadtchronik von Feldkirch sind die folgenden Sequenzen entnommen, welche den Ablauf des Angriffes genau beschreiben.
- 12.22 Uhr: Die Warnvermittlung Feldkirch gab die Warnung Luftgefahr 15 aus, d.h. feindliche Flugzeuge konnten die Stadt binnen 15 Minuten erreichen.
- 12.24 Uhr: 15 amerikanische Bomber überflogen aus nordwestlicher Richtung (also aus der Schweiz) kommend die Stadt ohne dabei Bomben abzuwerfen. Unter Umständen waren das die Flugzeuge der 99. Bomber-Gruppe, welche anschließend wieder in den Schweizer Luftraum eingedrangen und dort beschossen wurden.
- 12.28 Uhr: Die Schutzpolizei Feldkirch gab Fliegeralarm, der jedoch nicht ernst genug genommen wurde. Im Antoniushaus, in dem sich damals ein Reservelazarett befand, und in der Lehrerbildungsanstalt (heute Schulbrüderhaus) kam es beim Aufsuchen der Kellerräumlichkeiten zu einem Gedränge, sodass die Evakuierung nur zögerlich erfolgte.
- ca. 12.40 Uhr: Augenzeugen beobachteten den Anflug von 15 weiteren Bomber in einer Höhe von 2000 bis 3000 Meter, die sich beim Anflug immer mehr zu einer engen Formation zusammenschoben.
- ca. 12.42 Uhr: Die Bomber begannen mit dem Abwurf der Bomben, welche zuerst im Stadtteil Tosters niedergingen. Die Einschläge setzten sich über die Bahnlinie und den Blasenberg hin nach Tisis fort, wobei die Konzentration der Bomben immer dichter wurde. Eine Bombe traf das Reservelazarett im Antoniushaus, eine zweite detonierte im Stiegenhaus der Lehrerbildungsanstalt.
- 12.44 Uhr: Die Flugzeuge beendeten ihren Angriff nachdem sie 36 Stück 500kg Sprengbomben geworfen hatten und drehten nach Süden ab, wo sie kurze Zeit später die Grenze zu Lichtenstein überflogen.
Die Rettungsaktion
Sofort nach dem Ende des Angriffes begann die Rettungsaktion in der Gestalt von freiwilligen Helfern, die aus allen Teilen der Stadt heran eilten. Bis 16.00 Uhr waren zusätzliche Rettungskräfte aus dem Umland in Form von Feuerwehrleuten aus Frastanz und Rankweil, Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes sowie Soldaten verschiedener militärischer Dienststellen aus Bludenz und Bregenz am Unglücksort angekommen.
Den Helfern bot sich speziell beim Antoniushaus und der Lehrerbildungsanstalt ein Bild des Grauens. In beiden Fällen trafen die Bomben das Stiegenhaus, wo sich aufgrund der zögerlich durchgeführten Evakuierung große Menschenmengen befanden. Dementsprechend hoch waren auch die Opferzahlen, wobei diese je nach Quelle schwanken. Vor allem die Zahl der toten Mädchen in der Lehrbildungsanstalt wird in anderen Quellen mindest doppelt so hoch angesetzt wie in der nachfolgenden Aufstellung:
- Antoniushaus (Reservelazarett): 104 Personen, darunter 10 Ordensschwestern
- Lehrerbildungsanstalt (Schulbrüderhaus): 41 Personen, darunter 41 Schülerinnen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren
- weitere 23 Tote in den Wohnhäusern oder im Freien.
Folgen
Die NSDAP versuchte natürlich diesen Vorfall für propagandistische Zwecke zu nutzen. Für den 3. Oktober wurde in der Marktgasse eine von der Partei organisierte und entsprechend aufgebauschte Trauerfeier anberaumt, bei der 70 Särge für die in Feldkirch zu beerdigten einheimischen Opfer aufgestellt wurden. Durch einen Fliegeralarm kam es zur grotesken Situation, dass sich die vielen Trauergäste in Deckungen begeben mussten, sodass die Särge eine zeitlang verlassen auf dem Platz standen.
Die katholische Kirche konnte sich erfolgreich wehren, dass auch die elf getöteten Klosterschwestern von der Partei vereinnahmt wurden. Allerdings durfte bei ihrem Begräbnis dann auch keine militärische Abordnung anwesend sein, obwohl diese Frauen viele Wehrmachtsangehörige gesund gepflegt hatten.
Für die nach und nach geborgenen toten Soldaten wurde in Tosters der Soldatenfriedhof St. Wolfgang angelegt, auf dem auch die in weiterer Folge in den Lazaretten verstorbene Verwundete eingebettet wurden. Auch bei den Begräbnissen der Soldaten musste sich die Kirche gegen die Einfluss der Partei wehren, damit der christliche Charakter der Zeremonie erhalten blieb.