Johann Müller (1868-1949)

Auszug aus dem Vorarlberger Volksblatt Nr. 50 vom 1. März 1948 - von Dr. H. R.

Geistlicher Rat Johann Müller (1868-1949) erzählt über die ersten Schiversuche am Tannberg. Er war Pfarrer in Warth und danach von 1903 bis 1938 Direktor der Wohltätigkeitsanstalt Valduna.

Müller, der seit Kriegsende in Rankweil lebt und trotz seines hohen Alters noch rege tätig ist, hat mir folgende Geschichte erzählt, das geeignet ist, die Anfänge des Schilaufes in Vorarlberg in einem neuen Lichte zu zeigen. Er hat bereits um die Mitte der Neunzigerjahre, zu einer Zeit also da Vorarlbergs Schipioniere aus rein sportlichen Interessen die ersten Schiversuche unternahmen, aus praktischen Überlegungen sich Bretteln angeschafft und als Autodidakt sich diese zu seiner Berufsausübung dienstbar gemacht.

Doch lassen wir ihn selber erzählen: Von 1891 bis 1896 war ich Pfarrprovisor bzw. Pfarrer in Warth. Ich hielt in dieser Zeit eine Zeitschrift, den "Deutschen Hausschatz". Dieser brachte im Nachwinter 1894/95 ein Bild, das zeigte, wie man im hohen Norden, in Schweden und Norwegen, im Winter beim größten Schnee mittels Schi sich fortbewegen könne. Unter dem Bilde war angegeben, wo und zu welchem Preise man solche Schi bekommen könne.

Ich dachte mir sofort, das wäre auch für den Tannberg etwas praktisches, wo es alle Jahre wegen Schneemenge und Lawinengefahr nicht nur Tage, sondern Wochen gab, da kein Mensch die Gemeinde verlassen und keiner in die Gemeinde kommen konnte. Es gab damals in Warth noch keinen Telegraph, kein Telefon, geschweige denn das Radio. Ich nahm also eine Postanweisung und schickte die nötigen Gulden nach dem Norden, mit der Bitte, mir solche Bretteln zu schicken.

Kirche in Warth im Winter

Nach zirka vierzehn Tagen brachte mir der Briefbote Jakob Felder vom Postamt Steeg im Lechtal ein Paket, nicht ahnend, was für eine Neuigkeit er mir damit präsentiere. Denn damals hatte ja noch kein Mensch auf Tannbergs Höhen und nur wenig im ganzen Ländle vom Schi gehört, oder gar einen solchen gesehen.

Nun handelte es sich darum, das Schifahren zu erlernen. Vom Bilde konnte ich entnehmen, dass die Brettchen an die Schuhe geschnallt werden und dass man einen großen Bergstock zum Laufen benütze. Einen solchen Bergstock besaß ich, wie damals jeder Tourist. Also: Wie tun? Wie lernen?

Ich wartete des Abends, um nicht gesehen und ausgelacht zu werden, bis es dunkel wurde und alle Lichter im Dorfe gelöscht waren. Auch meine Schwester, die Haushälterin, war schlafen gegangen. Also konnte ich es wagen. Ich schnallte die "Schwedischen" an meine Schuhe, nahm den langen Stock und versuchte im großen Neuschnee des Pfarrwidums mein Glück.

Doch - da lag ich auch schon mit den Schiern quer auf und mit dem Kopf im Schnee und so immer wieder bis gegen Mitternacht. Müde gab ich die Versuche auf, hatte die Überzeugung: Noch kannst Du es nicht!

Ich glaubte nämlich, man müsse wie beim Schlittschuhlaufen bald mit dem einen, bald mit dem anderen Fuße vorwärts rutschen, und so kam ich immer wieder zu Fall. Am nächsten Abend versuchte ich es wieder und es ging schon besser. Und so wagte ich denn am nächsten Morgen, noch bevor die Dorfbewohner das erste Lichtlein anzündeten, eine Fahrt nach Lech. Ich kam, abgesehen von ein paar Stürzen, nach 1 1/2 Stunden gut hinüber, zu einer Zeit, als mein Nachbar, der Pfarrer von Lech, kaum aus den Federn gekrochen war.

Schifahren mit einem langen Stab

Weil große Lawinengefahr bestand, konnte ich an diesem Tage nicht mehr zurück. Ich blieb in Lech und fuhr am anderen Tag beim Morgengrauen wieder nach Warth, wo beim Bildegg die Milchbauern mit der "Bazida" am Rücken mich mit großer Spannung erwarteten, denn sie hatten die sonderbare schwarze Figur in Richtung Lech gesehen und mich auch bald erkannt. Da gab es große Augen und ein Schauen und Fragen und das einstimmige Urteil war: Das wäre etwas Praktisches für den Tannberg. Denn sie wussten: bei dem großem Neuschnee wäre es keinem Manne möglich gewesen, nach Lech zu kommen, auch mit Schneereifen nicht.

Ich bin dann noch oft nach Lech gefahren mit meinen "Schwedischen", auch über die Alpe Luchern nach Hochkrumbach und Schröcken, habe aber die Schi nie zum Sport benützt (das Wort "Sport" kannte man damals bei uns noch nicht), sondern nur als praktisches Verkehrsmittel. Wenn es stark aufwärts ging, z. B. von den letzten Häusern in Warth auf der Wolfegg, auf die Alpe Luchern, habe ich die Bretter ausgezogen, auf den Rücken genommen und bin mit Schneereifen gegangen. Wenn es mäßig abwärts ging, habe ich mich niedergelassen und mit dem Stock gebremst. Ging es aber steil abwärts, fuhr ich entweder in Serpentinen mit Spitzkehren, oder ich ging dort, wo der Weg gebahnt war, lieber zu Fuß, z. B. von der Neßlegg nach Schröcken. Am liebsten fuhr ich nach Lech, weil es da ziemlich eben ging und ich die Schi nie ausziehen musste. Vom Wachseln, von Schifellen oder dergleichen hatte ich natürlich keine Ahnung.

Dass die Schi für den Tannberg ein praktisches Verkehrsmittel sind, hatten die Schulerbuben bald heraus. Sie haben aus Fassdauben Bretteln improvisiert und sind damit gefahren. Vorsteher Walch hat mir vor ca. 12 Jahren gesagt, er könne sich noch gut erinnern, wie ich damals, als er noch ein Schulbub war, auf Schiern nach Lech gekommen sei und dabei immer hohe Stiefel getragen habe. Er und andere Altergenossen hätten mir das dann mit Fassdauben nachgemacht. Auch Hannes Schneider erzählte, wie er auf diese Art seine ersten Schiversuche gemacht habe.

Beim Abschied von Warth im Sommer 1896 habe ich die "Schwedischen" meinem Nachfolger, Pfarrprovisor Peter Paul Matt (gestorben 1899 in Rehmen) hinterlassen. Der hat sie weiter benützt und den jungen Lehrer Wilhelm Huber von Warth (jetzt Schulleiter von Hittisau) in die Geheimnisse der weißen Kunst eingeweiht. Dieser habe dann bei einer Schifahrt in Lechleiten das Bein gebrochen. Über das weitere Schicksal meiner "Bretteln" ist mir nichts bekannt.

Die Genealogie von Johann Müller (1868-1949) befindet sich im Stammbaum-Netzwerk.